Wenn Kinder die Welt ein bisschen flacher sehen: Probleme mit der visuellen Wahrnehmung und Geometrie
- Sarah | Viki-Training

- 5. Dez.
- 4 Min. Lesezeit
"Zeichne mal einen Würfel!“ – ein Satz, der für viele Kinder nach Spaß klingt, aber für manche eine echte und kaum schaffbare Herausforderung ist. Denn was passiert, wenn die Welt nur zweidimensional erscheint? Linien, Punkte und Kanten wollen einfach nicht so zusammenpassen, wie sie sollten – und am Ende wird aus dem Würfel ein windschiefes Rechteck.
Für Kinder ohne binokulares Sehen ist das Alltag – und alles andere als lustig.
Das räumliche Sehen, das wir oft als selbstverständlich ansehen, ist für manche Kinder eine echte Hürde. Wenn zwei Augen nicht harmonisch zusammenarbeiten, kann die Geometrie zum persönlichen Hindernisparcours als zu einem geraden Weg werden.
Das binokulare Sehen, also die Fähigkeit beider Augen, gemeinsam ein Bild zu verarbeiten, spielt eine zentrale Rolle in der visuellen Wahrnehmung. Besonders in Fächern wie Geometrie, die stark auf räumliches Denken und Vorstellungskraft angewiesen sind, kann eine Beeinträchtigung des binokularen Sehens Kinder in ihrem Lernen und ihrer Leistung entgegenstehen.
Dies betrifft vor allem auch Kinder mit Strabismus, also schielen, oder auch Kinder mit Ambylopie, also wenn ein Auge schlechter al
s das andere ist.
Was ist binokulares Sehen und warum ist es wichtig?
Das binokulare Sehen ermöglicht das Tiefensehen und eine präzise Wahrnehmung räumlicher Strukturen. Es basiert auf der Zusammenarbeit beider Augen, die leicht unterschiedliche Blickwinkel eines Objekts wahrnehmen. Das Gehirn kombiniert diese Informationen zu einem dreidimensionalen Bild; dh es legt die beiden Seheindrücke übereinander.
Wenn das binokulare Sehen gestört ist – beispielsweise durch Strabismus (Schielen), Amblyopie (Schwachsichtigkeit) oder eine starke Anisometropie (ungleiche Brechkraft beider Augen) – kann die räumliche Wahrnehmung eingeschränkt sein. Das Kind sieht zwar klar, kann jedoch Abstände, Tiefen und räumliche Strukturen schlechter einschätzen.
Wie beeinflusst fehlendes binokulares Sehen den Geometrieunterricht?
Kinder mit fehlendem binokularem Sehen können in Geometrie vor verschiedenen Herausforderungen stehen:
Schwierigkeiten mit der Tiefenwahrnehmung
Räumliche Objekte wie Würfel oder Pyramiden zu verstehen und zeichnerich darzustellen, ist für diese Kinder besonders anspruchsvoll. Dreidimensionale Figuren erscheinen oft „flach“, wodurch Perspektiven oder Schrägen nicht richtig wahrgenommen werden.
Probleme mit der räumlichen Vorstellungskraft
Geometrische Aufgaben, die das mentale Drehen, Verschieben oder Spiegeln von Formen erfordern, können für Kinder mit eingeschränktem Tiefensehen sehr schwierig sein. Die Vorstellungskraft fehlt einfach oder ist sehr eingeschränkt.
Ungenaues Abschätzen von Distanzen und Proportionen
Da die Tiefenwahrnehmung gestört ist, haben Kinder oft Schwierigkeiten, Größenverhältnisse und Abstände korrekt einzuschätzen. Das kann dazu führen, dass Zeichnungen ungenau werden oder Winkel und Proportionen nicht stimmen.
Orientierungsprobleme auf dem Arbeitsblatt
Das genaue Zuordnen von Punkten, Linien oder Winkeln auf einer Fläche kann schwierig sein, da die visuelle Organisation durch die fehlende räumliche Tiefe beeinträchtigt wird.
Erschwerte Hand-Auge-Koordination
Das präzise Zeichnen von geometrischen Formen, wie Kreisen, geraden Linien oder Symmetrien, kann durch eine beeinträchtigte Hand-Auge-Koordination erschwert sein.
hüpfende Linien bei „Alternierern“
Wenn ein Kind mit Strabismus „alterniert“ können die Linien regelrecht hin- und herhüpfen: Diese Kinder benutzen zwar beide Augen, jedoch immer nur eines abwechselnd. Du kannst dir das so vorstellen: Zeichne eine Gerade auf ein Blatt Papier. Während du den Strich zeichnest, schließt du immer in schneller Abfolge ein Auge und siehst mit dem anderen Auge – du wechselt also immer mit welchem Auge du gerade siehst. Manche Schiel-Kinder wechseln, also alternieren, in Sekundenschnelle oder auch in der Mitte vom Blatt.
Wie können Eltern und Lehrer Kinder unterstützen?
Die gute Nachricht ist: Auch ohne binokulares Sehen können Kinder in Geometrie erfolgreich sein! Mit gezielter Unterstützung und geeigneten Hilfsmitteln können sie ihre Fähigkeiten stärken.
Dreidimensionale Modelle einsetzen
-Gib den Kindern echte Modelle wie Würfel, Kegel oder Prismen, die sie anfassen und aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten können. Dies hilft ihnen, räumliche Strukturen besser zu verstehen.
- Setze Puzzle oder Bausteine ein, um die räumliche Wahrnehmung spielerisch zu fördern. Tolle Spiele sind hier z.B. Make’n Break oder magnetische Bausteine.
Arbeiten mit klaren Kontrasten und Markierungen
- Verwende Arbeitsblätter mit deutlich markierten Linien, farblichen Hervorhebungen oder klaren Grenzen.
- Hilf den Kindern, wichtige Elemente in einer Aufgabe mit Farben oder Symbolen hervorzuheben.
Verbale Beschreibungen ergänzen
- Erkläre geometrische Aufgaben und räumliche Zusammenhänge auch verbal. Eine Beschreibung kann helfen, fehlende visuelle Informationen auszugleichen.
- Nutze konkrete Beispiele aus dem Alltag, um geometrische Konzepte greifbar zu machen, z. B. das Analysieren von Gebäuden oder Möbeln.
Visuelle Fähigkeiten gezielt fördern
- Übungen zur Stärkung der visuellen Wahrnehmung, wie das Nachzeichnen von Formen oder das Arbeiten mit Symmetrien, können helfen.
- Spiele, die die Hand-Auge-Koordination trainieren, wie Zeichenspiele oder Feinmotorik-Aufgaben, sind ebenfalls sinnvoll: z.B. Bügelperlen, Perlen fädeln, Labyrinthe, Puzzle mit kleinen Teilen, Jenga, Heißer Draht, Steckspiele wie Pegboard, magentische Bausteine,…
Zusätzliche Zeit einräumen
- Kinder mit eingeschränktem binokularem Sehen benötigen oft etwas mehr Zeit, um geometrische Aufgaben zu verarbeiten. Gib ihnen diese Zeit, ohne sie unter Druck zu setzen.
Individuelle Lösungen finden
Besprich mit den Kindern, welche Hilfsmittel sie benötigen. Einige profitieren von größeren Zeichnungen, andere von plastischen Materialien oder klar strukturierten Aufgaben.
Fazit
Fehlendes binokulares Sehen kann Kinder in Geometrie vor Herausforderungen stellen, muss sie aber nicht am Erfolg hindern. Eltern und Lehrer können durch gezielte Unterstützung und den Einsatz geeigneter Hilfsmittel einen entscheidenden Beitrag leisten, um das räumliche Denken und die mathematischen Fähigkeiten der Kinder zu fördern.
Mit Geduld, Einfühlungsvermögen und kreativen Lösungen können wir gemeinsam dafür sorgen, dass jedes Kind trotz individueller Einschränkungen das Beste aus seinen Möglichkeiten herausholen kann.
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